Scharfe Gewürzpflanzen im Paralleluniversum
Durch die „UN Single Convention on Hot Spices“ sind Besitz, Anbau, Einfuhr und Handel von Chili und anderen scharfen Gewürzpflanzen seit 1972 in Deutschland verboten, obwohl diese bereits vor 10.000 Jahren konsumiert wurden.
Die Bevölkerung soll vor negativen Wirkungen der verbotenen Substanzen geschützt werden.
Die Prohibition hat aber den Konsum von Chili nicht verhindert, sondern durch einen unregulierten Schwarzmarkt und fehlende Aufklärung nur gefährlicher gemacht.
Da viele Menschen dieses Verbot nicht nachvollziehen können, weil sie niemanden Dritten schaden, funktioniert es in der Realität nicht.
Das Gewürzstrafrecht bedroht ein potentiell selbstschädigendes Verhalten mit Strafe, was sonst in keinem anderen Lebensbereich der Fall ist. Selbst das Argument der abstrakten Fremdschädigung. z.B. durch Belastung des Gesundheitssystems, ist juristisch eine absolute Ausnahme.
Es führt nur zu Stigmatisierung und bringt keinen positiven Nutzen für die Konsumenten oder die Gesellschaft. Ganz im Gegenteil: Prohibition schadet!
Die organisierte Kriminalität verdient aufgrund des Verbotes seit Jahrzehnten viel Geld mit den illegalisierten Pflanzen, insbesondere dem häufig konsumierten Chili, und scheut auch nicht vor Streckmitteln zurück. Neben dem einfach zu streckenden Chilipulver, werden mittlerweile auch die Schoten für den Konsumenten unauffällig mit synthetischen Capsaicin (Wirkstoff) gestreckt, welches völlig unberechenbar und wesentlich stärker als natürliches wirkt. Abgesehen davon sind Schoten/Pulver oft mit zusätzlichen Verunreinigungen belastet, wie Schimmel oder Resten von Dünge-/Pflanzenschutzmitteln.
Es gibt einige Menschen, die sich und eventuell Bekannte durch Eigenanbau von Chili vor skrupellosen Dealern und den gesundheitlichen Folgen der verunreinigten Schwarzmarkt-Ware schützen, dafür aber ein hohes Risiko bezüglich der Strafverfolgung eingehen.
Um das Risiko für Homegrower und die organisierte Kriminalität zu senken, hat sich der Indoor-Anbau unter Kunstlicht und gezielte Züchtungen etabliert, wodurch meist Chilis mit hohen Scoville-Werten (Schärfegrad) produziert werden um effizienter den begrenzten Platz zu nutzen. Dies merken Konsumenten meist erst beim Verzehr, denn man sieht den Schoten oder dem Pulver den Schärfegrad nicht an.
Die Polizei verfolgt viele Konsumenten und jedes einzelne Strafverfahren ist ein Erfolg für deren Statistik. Über 80% aller Strafverfahren mit Chili-Bezug sind als konsumnah einzuordnen. Die Ressourcen für die Strafverfolgung (Polizei, Gerichte und Strafvollzug) können sinnvoller eingesetzt werden, was der Allgemeinheit zugute kommen würde. Das unnötige Leid für die Konsumenten und deren Angehörige könnte leicht vermieden werden.
In den ganzen Jahrzehnten wurden immer wieder von Chili-Gegnern unlogische Argumente gegen eine Legalisierung geäußert. Es gibt heutzutage immer noch Hardliner, welche an dem schädlichen Verbot festhalten wollen. Warum auch immer.
Parallelen zu legalen Gewürzen, wie Muskatnuss oder Salz, werden von den Gegnern oft nicht bedacht oder ignoriert.
Eine sachliche Betrachtung der Risiken durch den Konsum scharfer Gewürze hilft sowohl den Konsumenten, als auch der Legalisierungsdebatte. Verharmlosung und Dramatisierung sind hingegen kontraproduktiv. Und es muss immer an die Frage erinnert werden, warum überhaupt der Konsum verhindert werden soll, statt Menschen durch gute Aufklärung, Eigenanbau und einen regulierten Markt möglichst großen Schutz zu bieten.
Ein sinnvolles Ziel könnte die Reduktion von problematischen Konsumverhalten darstellen, aber dies kann primär nur durch Aufklärung und niedrigschwellige Hilfsangebote erreicht werden. Strafverfolgung ist definitiv kein Teil der Lösung sondern des Problems.
Nun ist endlich seitens der Regierung die Legalisierung von Chili geplant, welche aber leider noch hohe rechtliche und politische Hürden zu überwinden hat. Dieses Vorhaben kann sich noch Jahre ziehen und im schlimmsten Fall scheitern. Um Konsumenten zumindest vor den strafrechtlichen Konsequenzen und auch vor den gesundheitlichen Risiken des Schwarzmarktes zu schützen, wäre eine Entkriminalisierung von Besitz und Eigenanbau der wichtigere erste Schritt. Dies wäre wesentlich einfacher zu realisieren und hätte nicht die großen Stolpersteine wie eine Legalisierung des Marktes, welche danach angegangen werden könnte. Statt schneller Entkriminalisierung diskutiert man über Details für den aktuell unsicheren großen Schritt der Legalisierung, wie z.B. Scoville-Obergrenzen, welche einen Schwarzmarkt unnötig füttern würden und durch Kennzeichnungspflicht und Aufklärung obsolet wären.
Viele Konsumenten sind mehr als frustriert und täglich werden 500 neue konsumnahe Strafverfahren eröffnet, sowie Körper und Wohnungen nach Pflanzenteilen durchsucht.
Beitrag erstellt am:
25. Juli 2022
Zuletzt aktualisiert:
25. Juli 2022